Gedichte, Krimis, Satiren und Geschichten

von Gunnar Schuberth

In der Nähe von Siena

Doch einmal, morgens um sechs, stand ich auf und schloss alle Fenster, und verklebte die Ritzen an der Tür und am Fensterrahmen und steckte mir Wachs in die Ohren.
Und der Schweiß lief mir über das Gesicht, über die Brust und den Rücken, und ich zitterte, aber ich musste etwas tun, um die Stimmen nicht mehr zu hören.

Der Schlaf des Schmetterlings

 

 

Angela Merkels geheimes Tagebuch

Wie alles begannAngela Merkel

12.11.2017

Liebes Tagebuch, endlich habe ich etwas Zeit, um durchzuatmen.

Die Tage der Sondierungsgespräche waren anstrengend. Heute ging es wieder um die Flüchtlingspolitik und als ich abends vor dem Schlafengehen noch einmal über den Tag nachdachte, waren auf einmal die Bilder wieder da.

Wie in einem Rausch zogen sie vorbei. Das schicksalhafte Treffen mit dem Flüchtlingsmädchen Reem. Als sie unvermutet in Tränen ausbrach, erwachte etwas in mir. Und ich konnte nicht anders, als zu ihr zu gehen und ihr über das Haar zu streichen.

Ich gebe zu, ich hatte lange gezögert, mich der historischen Aufgabe zu stellen. Sigmar Gabriel war vor mir in einer Flüchtlingsunterkunft gewesen. Dafür hatte er sich von der Presse feiern lassen und mich hatte man als kaltherzig beschimpft.

Als ich das erste Mal ein Flüchtlingsheim besuchte, war ich beklommen. Doch wie freundlich und herzlich wurde ich empfangen. Und es war eine Genugtuung zu erfahren, welche Enttäuschung der Besuch von Gabriel gewesen war.

Nicht nur, dass er den Flüchtlingen das ganze Begrüßungsgebäck weggefressen hatte. Auch Selfies mit ihm waren eine Zumutung, weil sein Riesengesicht alles überdeckte. Dicker Großkopf aus Germania, so nannte man ihn hier.

Wie anders dagegen mein Besuch. Ich war überwältigt von der Zuneigung und Begeisterung dieser Menschen. Ich spürte auf einmal eine Bestimmung. An diesem Tag wurden mir Menschen geschenkt, ein ganzes Volk hatte mich erwählt, dass sie aus der Wüste Syriens ins gelobte Land kommen könnten. Und ich rief ihnen zu: Kommt zu uns, kommt alle ins gelobte Land.

Alles hat mit diesem Besuch angefangen, und heute im Nachhinein sehe ich, dass es für mich keinen anderen Weg gab. Ich war nicht mehr die kühle Staatenlenkerin, die männermordende Machtmaschine, die jedem Widersacher eiskalt abservierte.

Ich blieb standhaft auf meinem Weg und all die Anfeindungen, die Streitereien mit Horst Seehofer, sie ließen mich nicht zweifeln. Wie oft habe ich Horst ans Herz gelegt, auch einmal ein Flüchtlingsheim zu besuchen und einem Flüchtlingsmädchen über das Haar zu streichen.

Die wunderbare Erfahrung zu machen, wenn dein Herz aufgeht und alles richtig und gut ist. Doch Horst war immer nur erfüllt von Angst, redete dauernd von irgendwelchen Stöpseln, die man nicht mehr auf die Flasche bekommt. Er war fixiert auf seine Obergrenze, immer nur Obergrenze. Er konnte mir auf meinem Weg nicht folgen.

Während ich dies vor Augen hatte, schlief ich schließlich ein, und noch im Traum hörte ich ihre Rufe: Mama Merkel, hilf uns.